Gemeinsam für Suse
Nach zehn Jahren kehrt Suse zurück nach Schleswig-Holstein. Ihre Freunde aus Kindheitstagen, Mia, Emma-Lotta,
Lasse und André, machen ihr den Neustart in der alten Heimat einfach.
Suse hat klare Vorstellungen von ihrer Zukunft: Neuer Job, neue Wohnung und für mindestens
ein Jahr Single bleiben, um endlich einmal tun und lassen zu können, was sie will. Keine Kompromisse, keine Absprachen, keine Rücksichtnahme. Nach langjähriger Beziehung und glücklicher Trennung
will sie in den nächsten Monaten als selbstbestimmte, unabhängige Frau durchs Leben gehen.
Blöd nur, dass sich Leben und Liebe nicht terminieren lassen.

Die Taschenbuchausgabe umfasst 248 Seiten
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Leseprobe: Kapitel 1
Gemeinsam für Suse
Seit geschlagenen fünf Minuten hockte sie nun schon
mit heruntergelassener Hose in der Wallapampa Mecklenburg-Vorpommerns.
Sie starrte auf das große, grüne Blatt, das ihr auf Nachfrage als Papierersatz gezeigt worden war, und welches
sie vor ihrem ersten Open Air Toilettengang ganz frisch vom Baum gepflückt hatte.
„Du siehst, die Natur gibt dir alles, was du brauchst … und gleich wirst du der Natur ein wenig von dem
zurückgeben, was du von ihr genommen hast. So schließt sich der Kreis …“, hatte Barbara mit weit ausladenden Handbewegungen philosophiert.
Suse hatte die Stirn krausgezogen, sich dann
aber zu einem Lächeln gezwungen und verständig genickt.
Sie hätte der Natur gern ein wenig von den zwei Litern Stillem Wasser zurückgegeben, die sie während des 1 ½-stündigen Marsches,
von der Sammelstelle bis hierher zum Basiscamp, getrunken hatte. Doch das Freiluftpinkeln war einfach nicht ihr Ding.
Total verkrampft hockte sie da und schaffte es nicht, mit der Natur
eins zu werden und den Kreislauf zu schließen.
Sie strich mit der Hand über das Blatt. Schön weich, dachte sie. Dann sah sie die kleinen Härchen, die das Grün überzogen. Es mussten Millionen
sein. Die Vorstellung, dass diese winzigen, weißen Fussel in einer ihrer Körperöffnungen verschwinden könnten, trug nicht dazu bei, dass sie sich entspannte.
Das kann ja lustig werden,
wenn ich meiner Gynäkologin erklären muss, woher der Ausschlag kommt, überlegte sie und verzog beim Gedanken daran ihren Mund.
„Komm mit, Suse“, hatten ihre Freunde gesagt, „das wird bestimmt suuuper. Die Wetterfrösche haben für das Wochenende Sonne, angenehme 23° und eine
Regenwahrscheinlichkeit von nur fünf Prozent vorausgesagt. Du könntest frisch gebräunt deinen neuen Job antreten …“
„Na gut. Ich komm’ mit, aber ich esse nichts, was ich vorher totmachen muss,
was mehr als vier Beine und/oder einen Chitinpanzer hat.“
„Das musst du auch nicht, das ist doch nur so ein Survival light Wochenende … Ouch, ich freu mich, dass du mitkommst. Wir werden richtig
viel Spaß haben“, hatte Mia gesagt und vor Begeisterung in die Hände geklatscht.
Die anderen drei hatten Mia zugestimmt und ihre Gläser erhoben, um auf das kommende Wochenende anzustoßen:
„Auf ein paar schöne Tage, in der Wildnis Meck Pomms.“
Die anderen drei, die Suse gut gelaunt zugeprostet hatten, waren Lasse, André und Lotte. (Eigentlich hieß sie Emma-Lotta. Sie selbst mochte
den Spitznamen Lotte nicht, hörte aber freundlicherweise trotzdem auf ihn)
Mia, Lotte, Lasse und André waren schon zu Kindergartenzeiten ein eingeschworenes Team und wurden
daher seit der zweiten Klasse die vier Musketiere genannt. Die Gruppenbezeichnung der Freunde war über die Jahre zu einem gängigen, feststehenden Begriff geworden. Es gab Leute, die nicht die
Namen der Vier kannten, und sie nur mit: He Musketier ansprachen, wenn sie etwas von ihnen wollten.
Die Klassenkameraden sagten: Die Musketiere
haben eine Strafarbeit bekommen … Die Musketiere kommen auch zur Party … Die Musketiere haben sich ein Auto gekauft.
Und das hatten sie. Als sie achtzehn wurden und die
Führerscheinprüfung bestanden, schmissen sie ihr Geld in einen Pott und teilten sich für fast zwei Jahre einen uralten Golf, auf dessen Heckscheibe stand:
Einer für Alle - Alle für Einen
Gemeinsam für Suse
۞
Suse hatte in der vierten Klasse die Schule wechseln
müssen, da ihr Vater eine besser bezahlte Anstellung in Kiel bekam, und die ganze Familie von der Westküste Schleswig-Holsteins in die Landeshauptstadt zog.
Suse stand mit strahlenden Augen
und geröteten Wangen neben dem Lehrerpult und lächelte ihre neuen
Klassenkameraden der 4c an. Sie wurde von ihren Mitschülern einer
genauen Begutachtung unterzogen. Sie hatte ein pausbäckiges, rundes
Gesicht und langes, zu zwei Zöpfen geflochtenes Haar. Der von ihrer
Großmutter selbst gestrickte Pullover machte das Bild eines Landeies
perfekt. Es war sofort klar: Die Neue war uncool.
Als die Lehrerin den Neuzugang dann noch mit den Worten vorstellte: Das
ist Suse, sie ist mit ihren Eltern aus Dithmarschen hierher gezogen …
Dithmarschen ist übrigens das größte, geschlossene Kohlanbaugebiet in
Europa. Jährlich werden dort achtzig Millionen Kohlköpfe geerntet …, schrumpfte das Interesse der Klassenkameraden an Suses Person auf null.
In
jemanden, der modisch auf dem Niveau der eigenen Eltern war und dessen
Freizeitgestaltung bisher darin bestanden hatte über Millionen von
Kohlköpfen bis zum nächsten Deich zu gucken, brauchte man keine Zeit zu
investieren. Da war Langeweile vorprogrammiert.
Suse hatte so sehr
auf neue Freunde gehofft … Aber Kinder sind grausam. Die neuen
Schulkameraden schnitten sie. Wenn sie sich auf dem Pausenhof zu einer
Gruppe gesellte, drehte diese sich um und ließ sie einfach stehen. Oft
schnappte Suse Gesprächsfetzen, wie Landpomeranze, … da kommt der Kohlkopf oder Kohlsuse, auf.
Sie
verbrachte die Pausen allein. Nachmittags saß sie in ihrem
Kinderzimmer, weil sich niemand mit ihr verabreden wollte. Es ängstigte
sie, sich auf eigene Faust durch den Großstadtdschungel zu schlagen – da
blieb sie lieber daheim.
Abends weinte sie sich oft in den Schlaf.
Sie sehnte sich nach Dithmarschen, der Nordsee und ihren Freunden (und
den Kohlgerichten ihrer Oma).
Dies
änderte sich an dem Tag, als der dicke Heini und sein Freund Klaus
versuchten, Suse in den Ascheimer zu setzen, der auf dem Schulhof stand.
Während Suse zappelnd darum kämpfte sich von den Jungs zu befreien,
hörte sie hinter sich ein Mädchen sagen: „Lasst sie los!“
Sofort stellten die Jungs Suse wieder auf die Füße. „Wir wussten nicht, dass sie zu euch gehört“, sagte der dicke Heini.
„Dann wisst ihr es jetzt.“
Auf
dem Schulhof war es Mucksmäuschen still geworden. Alle beobachteten,
was neben dem Ascheimer vor sich ging. Die gesamte Grundschule hielt den
Atem an. Das Mädchen sprach jetzt so laut, dass jeder sie hören konnte.
„Sollten wir noch einmal sehen, dass jemand Suse etwas tut oder einen Satz hören, in dem das Wort Kohl vorkommt,
dann wird es ganz fürchterlich. Ihr wisst schon: Schwertergeklirre.“
Niemand wusste, was Schwertergeklirre überhaupt war. Aber keiner war bisher mutig genug gewesen, es herauszufinden.
„Ihr
könnt jetzt gehen“, befahl das Mädchen dem dicken Heini und seinem
Freund. Diese traten umgehend den Rückzug an, erleichtert dem
Schwertergeklirre entkommen zu sein.
Als Suse sich zu der Stimme
hinter sich umdrehte, konnte sie es nicht fassen. Dort standen die vier
Musketiere aus der 4a und wussten anscheinend, wer sie war.
„Vielen Dank“, flüsterte Suse und lächelte schüchtern.
„Dafür nicht. Wir sind übrigens …“
„Mia, Emma-Lotta, Lasse und André”, fiel Suse Lasse ganz aufgeregt ins Wort.
„Du kennst unsere Namen?!“
„Natürlich kenne ich eure Namen.
Jeder an der Schule weiß, wer ihr seid.“
„Jeder
weiß, dass wir die vier Musketiere sind, aber nicht jeder weiß, wie wir
heißen.“ Die Vier schauten sich einen Moment lang an, dann nickten sie
einander zu. „Ab heute gehörst du zu uns. Niemand wird dich mehr hänseln
oder versuchen dich in einen Ascheimer zu stecken.“
„Wirklich?!“
Suse war ganz atemlos. Das war mit Abstand das Aufregendste, was ihr
bisher in ihrem (langen 10-jährigen) Leben passiert war. Sie sollte zu
den Musketieren gehören – TOLL.
Sie überlegte einen Moment, um dann
ernüchtert und enttäuscht zu sagen: „Ich kann gar kein Musketier sein!
Ihr seid doch jetzt schon einer zu viel.“
„Wieso sind wir einer zu viel?“, wollte Mia wissen.
„Na, der Film heißt doch Die drei Musketiere.“
„Du hast den Film nicht gesehen, oder?“
„Nein“,
erwiderte Suse kleinlaut und verfluchte in Gedanken ihre Eltern, die
ihr verboten solche Erwachsenenfilme (wie sie es nannten) zu gucken.
„Macht
nichts. Aber wenn du ihn gesehen hättest, wüsstest du, dass es vier
Musketiere gibt: Athos, Porthos, Aramis und Dante die Tante“, zählte
André die Namen auf.
„Es gibt ein Musketier, das Dante heißt und eine Tante ist?“ Suse war verwirrt.
Lotte rollte mit den Augen. „Natürlich nicht. André meint d’Artagnan … Er kann den Namen nur nicht aussprechen.“
„Ist auch schwer“, tröstete Suse André.
„Danke.“
„Gibt es denn ein fünftes Musketier?“ Hoffnung keimte in Suse auf.
„Nein.“
Die Vier schüttelten den Kopf. „Aber das macht nix. Die Musketiere
kämpfen für Gerechtigkeit und sie beschützen Leute. Das ist ihre
Aufgabe. Und du bist ab heute unsere. Wir werden von nun an auf dich
aufpassen …“
Und so war es. Von
dem Moment an, als die Pausenklingel die Fünf zurück in ihre Klassen
rief, passten Lotte, Mia, André und Lasse auf Suse auf. Niemand wagte es
mehr sie zu hänseln oder Kohlkopf zu nennen. Während der gesamten
Schulzeit verbrachten die Fünf die Pausen zusammen … An den Nachmittagen
und am Wochenende zeigten die Musketiere Suse, wie das Großstadtleben
funktionierte und welche ungeahnten Möglichkeiten es bot, etwas zu
unternehmen.
Die erste Unternehmung führte Suse mit den Mädels ins Shoppingcenter. Mia hatte darauf bestanden. So geht das nicht.
Da müssen dringend neue Pullover her … Und ab heute keine geflochtenen Zöpfe
mehr, hatte diese gesagt.
Die
Musketiere nahmen ihre Aufgabe, Suse zur Seite zu stehen und zu
beschützen, sehr ernst. Vor allem André und Lasse. Sie waren der
Meinung, dass jeder Junge, der sich in Suses Nähe begab, einer
eingehenden Überprüfung bedurfte.
Leider wurde keiner der Verehrer
den hohen Ansprüchen Athos’ und Porthos’ gerecht und so kam es, dass
Suse bis zu ihrem siebzehnten Geburtstag ungeküsst blieb.
Seit
Monaten war sie in Piet verliebt, der seinerseits auch (sehr) starkes
Interesse an ihrer Person zeigte. Wenn die Zwei sich in der Disco oder
auf einer Party trafen, hatte Piet ein paar Mal Anlauf genommen, um auf
Suse zuzugehen. Doch immer wurde er von Lasse und André abgefangen, in
ein Gespräch verwickelt, an die Bar dirigiert oder mit auf die
Tanzfläche gezerrt.
Durch einen Spruch von Lotte: Wenn das so weiter geht, wirst du mit dreißig noch Jungfrau sein,
völlig in Panik versetzt, hatte Suse vor ihrer Geburtstagsparty zu den
Jungs gesagt: „Wenn ihr mir heute bei Piet wieder dazwischen funkt,
kündige ich euch die Freundschaft auf und …“
„… und was?“, hatte Lasse wissen wollen.
„Schwertergeklirre!“
Mia und Lotte standen grinsend neben Athos und Porthos. „Zeit Suse ziehen zu lassen“, meinten sie.
Keine
drei Stunden später bekam Suse ihren ersten richtigen Kuss und blieb
mit Piet, der ihr dieses Geschenk machte, die nächsten fünfzehn Jahre
(unglaublich, oder?) zusammen.
Mit Anfang zwanzig zogen Suse und Piet nach Stuttgart, da Piet dort bessere Möglichkeiten für seinen beruflichen Werdegang sah.
Für
Suse war es ein tränenreicher und sehr, sehr schwerer Abschied. Als der
gemietete Sprinter, in dem die wenigen Möbel und Klamotten
transportiert wurden, den Elbtunnel in Richtung Süden verließ, und die
Container im Hamburger Freihafen im Rückspiegel immer kleiner wurden,
hatte Suse das Gefühl, heimatlos zu sein. Sie fühlte sich so elend, wie
noch nie. Sie glaubte, die wichtigsten Menschen in ihrem Leben verloren
zu haben.
Dem war natürlich nicht so. In den kommenden zehn Jahren
telefonierte Suse mit jedem der Musketiere (mindestens) einmal pro
Woche. Wenn einer der fünf Freunde wichtige Entscheidungen zu treffen
hatte, Highlights zu verkünden waren oder größere Probleme besprochen
werden mussten, wurde schnell geappt und kurzfristig zu einer
abendlichen Skype-Konferenzschaltung aufgerufen.
Mia, Lotte, Lasse
und André versäumten nie einen Geburtstag ihrer Freundin. Sie setzten
sich ins Auto, fuhren ins Schwabenländle und verbrachten dort mit Suse
ein paar schöne Tage. Diese machte im Gegenzug ein Mal im Jahr einen
zweiwöchigen Urlaub in Schleswig-Holstein. Während dieser Zeit wohnte
sie bei Lotte oder Mia (ungern bei Lasse oder André, da sie mit deren
Haushaltsführung, die die Männer als kreatives Chaos bezeichneten, nicht
gut klarkam).
Für Suse waren diese zwei Wochen die besten im Jahr. Sie liebte Schleswig-Holstein und die Menschen des Nordens.
Das
Leben in Stuttgart lief in geregelten Bahnen. Im Laufe der Jahre hatte
sich Piet in seiner Firma zum Bereichsleiter hochgearbeitet und Suse
hatte an der Abendschule erfolgreich den Abschluss zur
Finanzbuchhalterin absolviert.
Finanziell gab es keine Probleme. Es
gab regelmäßige Urlaube, Restaurantbesuche, das gemeinsame Training im
Fitnessstudio und eine tolle Wohnung. Eigentlich war alles gut … und
doch war alles blöd. Mit jedem Jahr, das verging, empfand Suse in ihrer
Beziehung mehr Langeweile.
Eines Abends, während einer Werbepause,
sagte Piet ganz unverhofft: „Ich liebe Dich, Suse, aber ich langweile
mich in unserer Beziehung tot …“
„Oh, Gott sei Dank …“, schoss es aus Suse heraus.
Sie
schalteten den Fernseher ab und holten eine Flasche Sekt aus dem
Kühlschrank. Seit Jahren hatten die Zwei wieder einen richtig
aufregenden Abend. Gemeinsam planten sie ihre Trennung und erzählten
einander von ihren Wünschen und Träumen für die Zukunft.
Suse berief
für den nächsten Abend eine Skype-Konferenzschaltung ein, während der
sie ihren Freunden verkündete, dass sie zurück nach Kiel ziehen würde.
Mia hielt es bei dieser Nachricht nicht mehr auf ihrem Stuhl. Hüpfend
und klatschend verschwand sie von Suses Bildschirm, während man sie
wieder und wieder rufen hörte: „Suse kommt nach Hause …“
Innerhalb
von drei Monaten hatte Suse ihre Angelegenheiten geregelt. Ein neuer
Arbeits- und Mietvertrag in Kiel waren unterschrieben. Dank der
Musketiere und deren Partnern war die 2 ½ Zimmer-Altbauwohnung renoviert
und bezugsfertig.
Als Suse mit dem kleinen, gemieteten Umzugswagen
vor ihrer neuen Wohnung hielt, standen Mia, Lotte, Lasse und André schon
auf dem Bürgersteig, um sie willkommen zu heißen.
Dies war nun vier Wochen her.